– garantiert selbst erlebt –
Nichts für schwache Nerven
Groteske in 6 Akten
Einleitung
Für meinen Sohn wurde ein neuer Benelli-Roller gekauft. Nach zwei Wochen und unglücklicherweise am Wochenende bildete sich eine große Benzinlache unter dem Roller. Nun war Eile geboten, sollten sich nicht Garage, Roller und andere Fahrzeuge in einen Feuerball verwandeln. Nach langer Sucherei wurde der Übeltäter ausgemacht: Es war der Unterdruck-Benzinhahn. Der Benzinhahn wurde ausgebaut und die Benzinleitung abgeklemmt.
1. Akt
Am darauffolgenden Montag erschien ich mit dem Benzinhahn bei meinem Benelli-Händler. Kaum hatte ich meine Reklamation vorgetragen, war die Erregung groß: Wie käme ich nur dazu, selbst den Hahn auszubauen. Selbstverständlich hätte ich durch diesen Eingriff keine Garantie mehr!
Die Aufregung war gut zu verstehen, denn wenn jeder Kunde seine defekten Teile selbst ein- und ausbauen würde, könnte mein Händler seine Werkstatt sofort dichtmachen. Da ist es nur von sekundärem Interesse, dass Haus und Hof mitsamt den Kunden in die Luft fliegt.
Auch kann man vor diesem Hintergrund gut verstehen, dass ich mich für diesen Vorfall rechtfertigen musste und nicht mein Benelli-Händler.
Schließlich klang die Erregung etwas ab, und ich konnte mein Gegenüber dazu bewegen, einen neuen Benzinhahn zu bestellen. Eine Woche Lieferzeit wurde hierfür vereinbart.
Froh über das gute Ende, verließ ich den Laden.
2. Akt
Nach 8 Tagen betrat ich erneut das Benelli-Geschäft, um den bestellten Benzinhahn abzuholen. Zunächst konnte sich niemand an eine Bestellung erinnern. Nach einigem Hin und Her meint der Benelli-Meister, sich schwach an eine Bestellung erinnern zu können. Zugleich konnte er aber definitiv ausschließen, den Hahn je bestellt zu haben. Das tat nun wiederum meinen Benelli-Händler leid und er versprach mir, den Hahn sofort per Express zu bestellen, damit ich ihn gleich am nächsten Tag abholen könne. Erfreut über soviel Engagement meines Händlers, versprach ich, in zwei Tagen wiederzukommen, da ich vorher noch eine Geschäftsreise antreten musste.
Beeindruckt von dem Verständnis und der Hilfsbereitschaft meines Händlers verließ ich den Ort des Geschehens.
3.Akt
Nach meiner Reise führte mich mein erster Weg zu den Benellis. Das Erstaunen auf allen Seiten war groß, als sich herausstellte, dass der Benzinhahn noch nicht eingetroffen war. Eine Erklärung für dieses Phänomen gab es nicht. Stattdessen warf mein Händler jetzt alles auf eine Waagschale: Er versprach mir ehrenwörtlich das morgige Eintreffen des heiß ersehnten Benzinhahns.
Innerlich bewegt von dieser großen menschlichen Geste trat ich den Heimweg an.
4.Akt
Am nächsten Tag gegen Abend war ich wieder am vertrauten Ort.
Heute hatte ich Glück: Die gesamte Benelli-Mannschaft war versammelt: Benelli-Händler, Benelli-Meister und Benelli-Geselle. Als mein Händler mich erblickte, schien er sich augenblicklich an sein gegebenes Wort zu erinnern. Freimütig und ehrlich kam er auf mich zu, um mir die bedauerliche Nachricht vom Nichteintreffen des Benzinhahns zu überbringen.
Erstmals hatte ich das Gefühl, dass ihm diese Angelegenheit ein ganz wenig unangenehm war. Und tatsächlich machte er mir jetzt ein tolles Angebot: Ausbau des Benzinhahns aus einem neuen Roller, verbunden mit einer kurzen Wartezeit. Nie war ich der Lösung meines Problems so nahe. Deswegen stimmte ich begeistert zu. Leider konnte der Benelli-Meister meine Begeisterung nicht teilen. Es bedurfte eines harten Wortgefechts zwischen Benelli-Händler und Benelli-Meister, bis sich der Meister widerwillig bereit erklärte, sich der Sache anzunehmen.
Die Wartezeit sollte mir nicht lang werden, denn für Kurzweil war gesorgt: Ich wurde unfreiwillig Zeuge von in rauem Ton geführten Kundengesprächen an der Verkaufstheke. In erster Linie ging es um Termine die vereinbart oder angeblich nicht vereinbart waren, um Roller die abgeholt werden sollten, jedoch nicht abholbereit waren. Es ging um Ersatzteile, die sich wider Erwarten und trotz telefonischer Zusage nicht anfanden.
Aus diesen Gesprächen ging die Benelli-Mannschaft regelmäßig als Sieger hervor, weil
- 1. die Benelli-Mannschaft in der Mehrzahl war
- 2. die Benelli-Mannschaft sowieso Recht hatte
- 3. die Kunden nicht das Gegenteil beweisen konnten
- 4. die Benellis routiniert und kampferprobt ins Wortgefecht gingen
Nach jedem Sieg verließ ein jeder Kunde mit hängenden Schultern und unter den triumphierenden Blicken der Benellis den Ort seiner Schmach.
Die Wartezeit von weit über einer Stunde verging mir dadurch wie im Flug´. Doch jäh wurde ich aus meiner Zuschauerrolle gerissen und war wieder Beteiligter unter der Kategorie “ Kunde von Benelli”. Mein Händler hatte eine traurige Nachricht für mich: “Leider würde der ausgebaute Hahn nicht für meinen Roller passen”. Schicksalsergeben dankte ich meinem Gesprächspartner für seinen hohen Einsatz und nahm den guten Willen für die Tat.
Allerdings fiel mir auf, dass
- a. man nach Abnahme des Helmfaches (5 Minuten Arbeit) die Bauart des Benzinhahns hätte erkennen können
- b. der Meister und der Händler die ganze Zeit im Verkaufsraum waren, während der Geselle an einem Kundenroller arbeitete und somit niemand für den Ausbau zur Verfügung stand
- c. kein neuer Roller in die Werkstatt gebracht wurde, aus dem man den Hahn hätte ausbauen können
- d. noch jede Menge neuer Roller aus dem gleichen Baujahr im Verkaufsraum standen.
Doch wer wird sich bei der gezeigten großen Einsatzbereitschaft meines Benelli-Händlers etwas Böses dabei denken. Alle schlechten Gedanken von mir weisend verließ ich die Wirkungsstätte meines RollerSpezialisten.
5. Akt
Am Abend des darauffolgenden Montags gegen 17.00 Uhr führten mich meine Schritte in eine nur allzu bekannte Umgebung. Was wäre wenn der Benzinhahn tatsächlich abholbereit wäre? Würde ich dann jemals wieder freiwillig hierher finden? Würde ich nicht die so vertrauten Gesichter vermissen? Wie würde ich weiterleben können, ohne den einzigartigen und unübertroffenen Benelli-Service?
Aber keine Sorge, mein Benelli-Händler konnte mich gleich beruhigen: Der Benzinhahn war leider noch nicht eingetroffen. Dafür hatte er aber eine unglaublich gute Nachricht für mich: “Der Hahn würde innerhalb der nächsten Minuten durch einen Paketdienst geliefert, spätestens jedoch bis 18.00 Uhr.
Jetzt wusste ich nicht, was ich mehr bewundern sollte: Die logistische Präzision des Roller-Ersatzteil-Spezialgeschäftes oder meinen Händler selbst für seinen beinahe ansteckenden Optimismus. Auch ist es meinem Händler zu danken, dass durch ihn der Begriff “Glaubwürdigkeit” eine völlig neue Definition erhielt.
Trotzdem musste ich das Angebot, bis 18.00 Uhr zu warten, ablehnen. Die Gründe hierfür lagen auf der Hand: Erstens kannte ich den Laden schon in- und auswendig. Zweitens waren die Darbietungen am Verkaufstresen trotz aller Anstrengungen der Akteure eher langweilig, weil der Sieger schon von vornherein feststand.
Meine Ablehnung spornte mein Gegenüber jetzt zu einer Service-Glanzleistung an: Er bot sich an, mir abends den Benzinhahn nach Hause zu bringen. Auch dieses Angebot musste ich ablehnen. Allerdings hatte ich hierbei nur die Sicherheit meines Händlers im Auge, da die Hunde bei mir zu Hause über eine sehr ausgeprägte Menschenkenntnis verfügen. Schließlich einigten wir uns darauf, dass der Benzinhahn gleich am folgenden Tag abgeholt werden sollte.
6. Akt
Gleich am Morgen des nächsten Tages war ich wieder am bewussten Ort: Ohne zu lamentieren und nicht ohne einen triumphierenden Blick wurde mir ein Benzinhahn überreicht. Gerade wollte ich mich anfangen zu freuen, da stellte ich Gebrauchsspuren auf dem Hahn fest. “Der ist ja schon gebraucht” fuhr es ohne Überlegung aus mir heraus. Das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen. Sogleich bereute ich mein voreiliges Handeln. In aller Strenge wurde ich zurechtgewiesen: “Der Hahn wurde nach Erhalt sofort in einen Roller eingebaut und ausführlich getestet, für gut befunden und wieder ausgebaut ”. Sofort entschuldigte ich mich für meinen infamen Verdacht. Ich fragte mich, wieso ich nicht selbst auf diese naheliegende Erklärung gekommen bin. Außerdem stand mein Händler mit dieser herausragenden Serviceleistung jetzt an einsamer Spitze:
Weltweit ist kein Rollerladen bekannt, der bestellte Ersatzteile erst an eigenen Rollern erprobt, um sie dann guten Gewissens seinen Kunden aushändigt. Diese Leistung ist nicht zu toppen!!
Verständlicherweise wurde ich etwas kühl verabschiedet. Aber daran hatte ich ja schließlich selber schuld.
Ausklang
Meinen tief im Inneren gehegten Verdacht, dass ich meinen damals abgegebenen Benzinhahn zurückerhalten habe, bestätigte sich nicht. Der Hahn funktioniert bis heute einwandfrei.
Des Weiteren habe ich meinen Benelli-Händler nicht mit weiteren Kleinigkeiten behelligt, damit er in Ruhe der Pflege und dem Aufbau seines Kundenstammes nachgehen kann.
Letzte Meldung:
Nun ist das Rollergeschäft leergeräumt. Am Schaufenster ist ein Schriftzug angebracht: “Zu vermieten”.